Texts (German)

 New York

 Reisebericht

 Auszüge aus den 10 Tagen, 04. - 13.04.2010

1. Tag, Montag 05.04.2010

Vor dem East River taucht die Bahn ab und ich an der Ecke 42nd Street Lexington Avenue wieder auf. Die Treppe hochkommend habe ich gleich das Chrysler Building vor mir, ach was, über mir und ich staune, wie über den Blick in die Straßenfluchten links und rechts von mir. ‚Hier also habe ich New York betreten…’, denke ich, überquere die Straße, gehe rein und drehe eine Runde durchs Foyer. Die zentrale Uhr, mit Ziffernanzeige, zeigt 6:34. Was für eine Pracht an Marmor, Deckenmalerei und überhaupt der ganze Gestaltungswille. Bis in die Details muß alles irgendwann auf dem Zeichenbrett gelegen haben, also Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre. Das muß schon eine erstaunliche Zeit gewesen sein, wenn derartiges entsteht. Und gleichzeitig herrschte die Prohibition. Ich denke an Szenen aus „Es war einmal in Amerika“. .... 

10:30 bin ich am MoMA. Gleich die ersten drei Stunden ausschließlich Marina Abramovic zugeschaut. Ihre Langzeit-Performance „The Artist is Present“ ist eine erstaunliche und wundervolle Arbeit. Für die Dauer ihrer MoMA-Retrospektive, also für zweieinhalb Monate und sechs Tage die Woche, sitzt sie während der Öffnungszeiten ununterbrochen im Atrium an einem Tisch und wer will, kann sich ihr gegenüber setzen. Jeder so lange er will und ohne zu sprechen. Allein das Zuschauen ist schon eine wunderbare Sache. Das Atrium fungiert als Drehkreuz des ganzen Museums und es ist ein permanentes Kommen und Gehen. Dennoch, „beim Eintritt in das schneeweiße Atrium verschlägt es mir fast den Atem. Der japanische Architekt Yoshio Taniguchi hat eine minimalistische, strenge, zwischen Bauhaus und modernem Meditationsort angesiedelte Architektur entworfen, die ganz auf konzentrierte Introvertiertheit setzt.“ (Hans Dieter Schaal, Stadttage-bücher, 2010). Ihre Performance paßt gut hier her und es ist genau der richtige Ort. Dann in der Ausstellung....

3. Tag, Mittwoch 07.04.2010

Bis heute früh, drei Tage plus sechs Stunden Zeitverschiebung, also seit 78 h unterwegs. Davon habe ich neun Stunden im Flieger gesessen, neunzehn geschlafen und den Rest war ich überwiegend auf den Beinen. Heute sind es wieder zwölf Stunden gewesen, in der Upper East Side, dabei hatte ich schon früh Muskelkater, vor allem in der linken Wade. Gestern wollte ich noch mit Annelie ins Hotel und heute, so schnell geht das, wollte ich schon ins Haus der Frick Collection einziehen. Das Haus wurde 1935 für Publikum geöffnet und in maßloser Hybris denke ich mir, ‚da kann es doch jetzt, nach 75 Jahren, mal wieder geschlossen werden’. In der Library, wo denn sonst, richte ich mir mein Arbeitszimmer ein, die Bücher werden gegen meine ausgetauscht und die Möbel können erstmal bleiben wo sie sind. Hier und in den anderen Räumen werden etliche Bilder um- und abgehängt und einige müssen gut verpackt ins Lager. In der oberen Etage werden ein paar Gästezimmer eingerichtet, mit ausgewählten Einzelwerken. Den kleinen, schönen Vermeer „Girl interrupted at her Music“ für Sabine oder auf Wunsch gerne auch ein anderes. Daran ist ja kein Mangel. Vielleicht will sie auch den großen Piero, aber der bleibt wo er ist. Der Namenlose darf sich eins aussuchen, aber ich denke da an Duccio. Ginka kriegt den Bronzino ins Zimmer, Annelie „The Coronation“ der beiden Venezianos und in unserem gemeinsamen Schlafzimmer hängt rechts „Virtue and Vice“ von Veronese, am Kopfende die kleine Auferstehung von Botticini und links die zwei Waldbilder, die wir aus Berlin mitgebracht haben. ....

 

 

                                                                                                 Times Square, 06.04.2010